Innenpolitik

Machtgruppen

Das pakistanische Militär

Neben den geopolitischen und geostrategischen Faktoren ist das Ungleichgewicht der Regierungsinstitutionen innerhalb des pakistanischen Staates Ursache für die kontinuierliche Regierungskrise und die strukturelle Gewalt im Land. Das pakistanische Militär spielt eine überaus wichtige und dominante Rolle in der Nuklearmacht Pakistan. Es ist disproportional groß (es vereinnahmt ein Viertel des gesamten Haushalts) und deshalb übermächtig, während die zivilen Institutionen, wie z.B. die Bürokratie, die Justiz, die Polizei und die politischen Parteien, permanent unterfinanziert sind. Die Interventionen des Militärs in die Politik und die Wirtschaft hat diese Organisation im Laufe der Geschichte immer stärker gemacht.

Dr. Ayesha Siddiqa, international bekannte pakistanische Wissenschaftlerin, stellt zurecht die Frage, inwiefern eine Rückgabe der Machtbefugnisse des Militärs angesichts des Teufelskreises von „milbus“ (military business) – was Ursache und zugleich Effekt von undemokratischen bzw. autoritären Regimen ist – möglich ist. Darüber hinaus gibt es einen Nexus zwischen den Militärs und anderen mächtigen Akteuren, wie den Industriellen, Feudalfamilien sowie spirituellen Führern und Politikern.

Militär, Geheimdienst und militante islamistische Kräfte

Der Nexus zwischen dem Militär, den Geheimdiensten und religiös motivierten Kräften ist spätestens seit dem Afghanistankrieg (1979-89) bekannt. Sogenannte «mujahideen» wurden als Guerillakämpfer gegen die Russen in «madrassahs» (religiöse Schulen) ausgebildet, indoktriniert und  instrumentalisiert. Viele Bücher wurden über die maßgebliche Verwicklung des amerikanischen Geheimdienstes CIA in den Afghanistankrieg und seine politische, finanzielle Unterstützung für den teilweise militanten Islamismus als Gegenideologie zum Kommunismus, geschrieben. Gemäß vieler Analysten und Journalisten hat sich dieser Nexus zwischen dem Militär, den Geheimdiensten und den islamistischen und militanten Kräften über die 1990er Jahre aufgrund der Unterstützung der Taliban durch den pakistanischen Geheimdienst ISI bis heute gehalten. Auch die USA waren skeptisch gegenüber Musharrafs propagierter «U-Turn Policy», d.h. die Distanzierung des Militärs von militanten islamistischen Kräften. Das Misstrauen verringerte sich in der zivilen Regierung unter der PPP nicht. Die Situation zwischen Amerika und Pakistan spitzte sich in den Ereignissen der amerikanischen Militäroperation um Usama bin Laden in Abbottabad 2010 zu. Seitdem sind die amerikanisch- pakistanischen Beziehungen sowie die Beziehungen zwischen dem Militär und der zivilen Regierung angespannt.

Die Staatskrise von 2007

Machtkampf zwischen Judikative und Exekutive

Nachdem der amtierende Oberste Richter Iftikhar Chaudhry des Höchsten Gerichtshofs sich durch verschiedene Verdikte gegen die Politik der damaligen Musharraf-Regierung gestellt hatte, wurde er illegal von Musharraf im März 2007 seines Amtes enthoben. Dies entfachte eine bisher nie dagewesene Bewegung von Richtern und Anwälten gegen Musharraf die von zivilgesellschaftlichen Gruppen bestärkt wurde. Diese Bewegung war insgesamt zwei Jahre lang aktiv. Die Richterbewegung wandelte sich von einer Bewegung für die Wiedereinsetzung der enthobenen Richter zu einer Anti- Musharraf-Bewegung und zu einer Bewegung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Einerseits genoss diese Bewegung nationale, regionale sowie internationale Solidarität, andererseits war sie auch kontrovers, da sie gemäß einiger Kritiker von bestimmten politischen Parteien Rückenwind bekam.

Am 27. Dezember 2007 spitzten sich die Ereignisse weiter zu, als die charismatische PPP-Oppositionspolitikerin und ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto auf einer Wahlveranstaltung in Rawalpindi ermordet wurde. Islamabad hielt Baitullah Mehsud, den Chef der pakistanischen Taliban für den Drahtzieher. Die Hintergründe der Tat bleiben aber im Dunkeln und zahlreiche Spekulationen darüber sind im Umlauf, z. B. dass Angehörige der  PPP, Bhuttos eigener Partei, dahinter steckten (s. das Magazin «Hintergrund»). Im ganzen Land, besonders im Sindh, brachen Unruhen aus, zahllose Anschläge wurden verübt, die längst  geplanten Wahlen wurden auf den 18. Februar 2008 verschoben. Asif Ali Zardari, der Witwer Bhuttos, übernahm de facto die Leitung der Pakistan People’s Party.

Nach der Ermordung Benazir Bhuttos im Februar 2008 kam nach neunjähriger Militärherrschaft wieder eine zivile Regierung an die Macht. Nach einem zweijährigen Machtkampf wurden die enthobenen Richter sukzessive wieder eingesetzt; Chaudhry Iftikhar erhielt sein Amt im März 2009 zurück.

Die innenpolitischen Hauptthemen

Der Kampf gegen Terrorismus

Einer der meistgesuchten Terroristen Pakistans ist offenbar tot: Wie das afghanische Verteidigungsministerium mitteilte, wurde Mullah Fazlullah, die Führungsfigur der pakistanischen Taliban, bei einem US-Drohnenangriff im Juni 2018 getötet. Fazlullah wurde schon mehrfach für tot erklärt. Er war der Nachfolger von Hakimullah Mehsud, der im November 2013 getötet wurde. Die USA hatten erst im März ein Kopfgeld in Höhe von fünf Millionen US-Dollar auf ihn ausgesetzt. Der Gesuchte war Chef der pakistanischen Taliban und galt unter anderem als verantwortlich für das Attentat auf die spätere Nobelpreisträgerin Malala Yousafzai im Jahr 2012. Auch in einen Anschlag auf eine Schule soll er verwickelt gewesen sein. Bei dem Massaker vor vier Jahren wurden 132 Kinder getötet.

Angesichts des Erstarkens der afghanischen Taliban und der Terrormiliz «Islamischer Staat» weiten die USA seit Monaten ihre Luftangriffe vor allem in Ostafghanistan an der Grenze zu Pakistan stark aus. Dort verstecken sich sowohl afghanische als auch pakistanische Extremisten. Der Angriff habe sich in der Provinz Kunar im Nordosten Afghanistans ereignet, teilte das Ministerium unter Berufung auf die US-Armee mit. Neben Fazlullah seien weitere Pakistaner getötet worden. Die US-Streitkräfte in Afghanistan bestätigten bislang, dass es im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet einen Luftschlag auf einen «Führer einer Terrororganisation» gegeben habe. Angaben über Opfer wurden nicht gemacht. Auch das pakistanische Militär äußerte sich bislang nicht.

Pakistan hatte stets behauptet, Fazlullah halte sich in Afghanistan auf, die afghanische Regierung hatte dies immer wieder dementiert. Nach dem Massaker in der renommierten Army Public School in Peshawar am 16. Dezember 2014, in dem mehr als 140 Personen, darunter LehrerInnen und mehr als 130 Jugendliche, von Selbstmordattentätern der Taliban kaltblütig erschossen wurden, befand sich Pakistan in einem Zustand zwischen Trauer, Angst, und Wut. Bürgerinnen und Bürger in vielen Städten Pakistans drückten ihre Gefühle durch Protestaktionen und Mahnwachen aus. Im Zuge dieser schrecklichen nationalen Tragödie hatte auch Imran Khan seine seit mehr als vier Monate andauernden „dharnas“, Sitzblockaden und Demonstration gegen die derzeitige Regierung in Islamabad, abgebrochen, um „nationale Einheit“ in dieser für Pakistan sehr schwierigen Situation zu wahren und zu stärken.

Die Tehreek-e-Taliban hat sich öffentlich zu diesem grausamen Gewaltakt bekannt und diesen als Racheakt für die seit Juni 2014 verstärkte Militäroperation „Zarb-e-Azb“ in den Stammesgebieten erklärt. Die Spirale der Gewalt und Rache dreht sich seitdem unaufhörlich weiter. Nach dem Schulmassaker verschärfte das Militär sein Vorgehen gegen die Taliban in den Stammesgebieten. Zudem hat Premierminister Nawaz Sharif eine in 2008 angeordnete Aussetzung der Todesstrafe für Terroristen beendet. Gemäß der Regierung sollen 500 weitere Todesurteile in absehbarer Zeit vollstreckt werden. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen kritisieren die Durchführung der Todesstrafe scharf.

Als Antwort auf diese nationale Tragödie haben sich alle politischen Parteien auf einen „20-Punkte Nationalen Aktionsplan“ für die Bekämpfung von Terrorismus geeinigt. Dieser Anti-Terrorismusplan beinhaltet unter anderem die Etablierung von Militärgerichten, die Terrorismusfälle beschleunigt abhandeln sollen. 1999 hatte der pakistanische Bundesgerichtshof Militärgerichte als illegal und verfassungswidrig erklärt. Um dieses Dilemma zu umgehen, haben sich die politischen Kräfte dazu entschieden, die Verfassung anzupassen. Der 20-Punkte Aktionsplan beinhaltet auch die Bekämpfung der „Punjabi Taliban“, ein Phänomen, welches bisher vernachlässigt wurde und den Schwerpunkt der Terrorismusbekämpfung auf die Stammesgebiete legte. Analysten sehen eine Wurzel des Terrorismus in Pakistan in den extremistischen madressah-Netzwerken in Punjab.

Politik ist in Pakistan Familienangelegenheit

Der Bruder des abgesetzten Premierministers Nawaz Sharif soll Präsident der regierenden Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N) werden. Interims-Präsident der Partei ist seit dem 25. August 2017 der Senator Sardar Yapoob Khan Nasir. Er wurde auf Anweisung der „Election Commission of Pakistan“ eingesetzt. Mehrere prominente Parteimitglieder hätten sich aber für Shahbaz Sharif, den Bruder des Ex-Premiers, ausgesprochen. Shahbaz Sharif galt als Kandidat für den Posten des Premierministers, aber die Pläne änderten sich, als eine Reihe von Politikern sich dagegen aussprachen, weil sie eine

„unnötige Störung des momentanen politischen Set-ups“ befürchteten. Tatsache ist, dass Shahbaz Sharif kein Mitglied der Nationalversammlung war, weshalb er keinen unmittelbaren Kandidaten für den Posten des Premierministers darstellte. In der Interimszeit von Abbasi sollte Shahbaz Sharif in die Nationalversammlung gewählt werden und sich damit qualifizieren. Nach der Wahl Abbasis traf Nawaz Sharif aber die Entscheidung, dass sein Bruder Shabaz im Punjab verbleiben, und Abbasi das Amt des Premierministers bis zur nächsten Wahl im Juni 2018 bekleiden solle. Die Parteispitze hatte sich besorgt über Sharifs Pläne geäußert, denn Shabaz Sharifs Weggang aus Lahore hätte ein Machtvakuum in der bevölkerungsreichsten Provinz, in der die Partei eine breite Wählerbasis hat, entstehen lassen. 183 von insgesamt 342 Sitzen in der Nationalversammlung werden von Vertretern aus dem Punjab gehalten – die Provinz spielt damit eine entscheidende Rolle in der Gestaltung der Politik und Zukunft Pakistans.

Kritiker verurteilten die Machtspiele der Sharif-Familie und der PML-N als dynastisch und undemokratisch. Der Oppositionsführer Imran Khan nannte das Politikgebaren „eine Form der Monarchie“. Seine Partei, die Pakistan Tehreek-e Insaf (PTI) war auf die Straße gegangen, um eine Investigation der Sharif-Angelegenheiten zu erzwingen. Die Absetzung des Premierministers wurde von der PTI und ihren Anhängern gefeiert.

Der Physiker und Nobel-Preisträger Abdus Salam wird von der Regierung nachträglich geehrt

Die Quaid-e-Azam Universität in Islamabad wird ihr National Centre for Physics nach dem verstorbenen Physiker Abdus Salam benennen, der 1979 mit dem Nobel-Preis für theoretische Physik ausgezeichnet wurde. Auch ein internationales Stipendienprogramm für Physiker soll nach Abdus Salam benannt werden. Diese Entscheidung überraschte nationale und internationale Beobachter, denn der Physiker wurde von bisherigen Regierungen trotz dessen Leistungen auch für das Nuklearprogramm Pakistans nicht sonderlich gewürdigt. Einer der mutmaßlichen Gründe könnte auf seine Zugehörigkeit zur Ahmadiya-Glaubensgemeinschaft zurückgeführt werden.

Die Ahmadiya wird von orthodoxen Muslimen nicht anerkannt und gilt sogar als ketzerisch. Die Verfassung Pakistans deklarierte 1974 die Ahmadiya-Gemeinschaft als „nicht muslimisch“; 1984 wurde die Ausübung des Glaubens durch weitere Gesetze extrem eingeschränkt. Mitgliedern der Ahmadiya-Gemeinschaft drohen Gefängnisstrafen für den Fall, dass sie ihre Gebetsstätten als Moschee bezeichnen oder an allgemeinen muslimischen Praktiken teilnehmen. Auch der Grabstein Abdus Salams wurde geschändet und der Hinweis auf seinen muslimischen Glauben unlesbar gemacht.

Sprecher der Ahmadiya-Gemeinschaft lobten diese posthume Anerkennung, die sich mittelbar auf die Ahmadiya-Gemeinschaft auswirke. Orthodoxe sunnitische Muslime kritisierten die Entscheidung dagegen; Abdus Salam hätte sein Heimatland aus Protest gegen die Anti-Ahmadiya-Politik verlassen, und dessen Ehrung setze ein falsches Zeichen.

Der schwelende Balochistankonflikt

In Balochistan, die territorial größte (mehr als 44% des Gesamtterritoriums), bevölkerungsärmste (ca. 5% der Gesamtbevölkerung) jedoch ressourcenreichste Provinz (Gas, Gold, Kupfer und weitere Mineralien) schwelt ein nationalistisch-tribal gefärbter Guerillakrieg seit der Entstehung Pakistans. Es wurden bereits vier Militäroperationen gegen separatistische Guerillakrieger in Balochistan geführt (1948; 1958/59; 1963-69; 1973-77), die fünfte Militäroperation dauert seit 2004 bis heute an. Politische Opponenten/Aktivisten werden gezielt getötet. Gravierende Problem- und Konfliktfelder in diesem Konflikt sind u.a.: die Unterentwicklung der Provinz trotz ihrer vielen Ressourcen, der Finanzausgleich, der Bau von Großbauprojekten wie z.B. dem Tiefseehafen in Gwadar ohne Konsultation der Balochis, gravierende Menschenrechtsverletzungen vor allem gezielte unaufgeklärte Tötungen von Aktivisten oder auch Journalisten sowie die Verschleppung dieser, hohe Anzahl von Binnenflüchtlingen aufgrund der unsicheren Situation, Repräsentation der ethnischen Minderheit in Militär und Bürokratie.

Seit der Abspaltung Ostpakistans 1971 (dem heutigen Bangladesh) wird Balochistan allgemein als die zweite Provinz betrachtet, welches sich potenziell von Pakistan abspalten könnte. Die Annektierung Balochistans zu Pakistan ist geschichtlich umstritten, d.h. ob sie freiwillig oder unfreiwillig geschah.

Visuelle Eindrücke des Guerillakrieges in Balochistan bietet ein Dokumentarfilm zum Balochistankonflikt.

Menschenrechte

Pakistan gehört zu den Ländern, in denen gravierende Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Gemäß des allgemeinen Amnesty International Länderreports zu Pakistan (2017/2018) sind die Regierungsbehörden oft nicht fähig oder nicht willig, um die schwächsten Bevölkerungsgruppen wie Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten aber auch Journalisten vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Zwar hat es in einigen Teilbereichen Fortschritte auf rechtlicher Ebene gegeben, allerdings scheitert der pakistanische Staat an der Sicherstellung und Umsetzung von Menschenrechten und Gesetzen und ist selbst in Menschenrechtsverletzungen verwickelt, insbesondere im Kontext der „Terrorismusbekämpfung“.

Der aktuelle Amnesty International Report zu Menschenrechtsverletzungen durch das pakistanische Militär und den Taliban in den Stammesgebieten, beklagt die Folter, illegale Inhaftierung an geheimen Orten und Verschleppung von tausenden von Männern und Jungen. Grundrechte, die in  der pakistanischen Verfassung garantiert sind, sind in den Stammesgebieten nicht durchsetzbar, da dieses Gebiet immer noch den 1901 von den Briten eingeführten drakonischen „Frontier Crimes Regulations“ (FCR) untersteht. Zwar wurde im Jahr 2011 die Political Parties Order 2002 auf die FATA ausgeweitet, gleichzeitig aber verschärft sich die Menschenrechtslage, da die Regierung dem pakistanischen Militär übergriffige Machtbefugnisse in Bezug auf Festnahme und Inhaftierung unter den sogenannten „Actions in Aid of Civil Power Regulations“ (AACPR) eingeräumt hat. Das pakistanische Militär hat diesen Report als „einen Haufen Lügen und Teil einer bösen Propagandakampagne“ (eigene Übersetzung) verworfen. Auf der anderen Seite leiden die Menschen in den Stammesgebieten unter den willkürlichen und tödlichen Repressalien seitens verschiedenster Talibangruppen.

Die Texte stammen von Susanne Thiel. Sie ist seit den 1990er Jahren im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit tätig. Die GIZ und der Autorin ist informiert worden, dass die Infos auf meiner touristischen Länderseite zu Pakistan veröffentlicht werden.